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Montag, 21. November 2011

Rico, der Straßenjunge und ich 5

Doch mein Schlaf war alles andere als erholsam. Denn wieder und wieder träumte ich von Rico und dem Unfall. Gerade als ich erneut kurz vor dem Aufprall stand wachte ich schweißgebadet auf. Mein Magen knurrte bedrohlich, da ich ja seit heute früh nicht gegessen hatte. Doch zunächst viel mein Blick auf das Telefon, weil es sich fast zu Tode blinkte. Ich drückte den Anrufbeantworter und die mechanische Stimme teilte mir mit, dass ich 13 neue Nachrichten hatte, die alle von Georg waren. Seine Stimme klang von Nachricht zu Nachricht besorgter. Dennoch entschied ich mich zunächst dafür, in die Küche zu gehen, um mir etwas zu essen zu machen. Also humpelte ich nach unten und belegte mir zwei Semmeln, mit Käse und Wurst.

Wieder oben angekommen schaltete ich meinen PC ein und versuchte anschließend Georg zu erreichen. Bereits nach zweimaligem Klingeln hob dieser ab:

Georg (besorgt): Mensch Basti, warum hast du dich denn nicht früher gemeldet? Ich hab mir echt Sorgen um dich gemacht.

Basti (genervt): Na das ist mal ‘ne Begrüßung, Ich war eingeschlafen und bin erst jetzt aufgewacht.

Georg (zweifelnd): Hmmmmmmmm ok. Da musste aber ziemlich fest geschlafen haben, weil dein Telefon ist, nicht gerade Leise.

Basti (immer noch genervt). Sorry das Ich erst jetzt anrufe, ok? Was wolltest Du denn von mir?

Georg (ruhig): Nur mal hören, wie es Dir geht?

Basti (abweisend): Na ja nicht schlechter als zu dem Zeitpunkt wo Dich heimgefahren hast.

Georg: Hmmm ok. Was hast Du eigentlich genau damit gemeint, als du sagtest, dass du mit Rico scheiße gebaut hast?

Basti (genervt): Müssen wir das unbedingt jetzt besprechen? Hab keine Lust darüber zu reden.

Georg (wütend): Du machst es also so wie damals mit Alexander und frisst alles in Dich rein? Na ja eines verspreche ich Dir, diesmal werde ich dir nicht mehr helfen wenn es Dir dreckig geht! Zuerst will ich wissen, was los ist!

Basti (kleinlaut): Ok, ok, hast gewonnen. Rico hat mir beim Essen erzählt, das er auf der Straße lebt. Ich hab dann wohl etwas überreagiert. Er war dann sauer und ist rausgerannt. Ich hab noch versucht ihn zu erwischen aber er war schon weg. Dann hab ich mich abgeschossen und na ja … den Rest kennste ja dann.

Georg (sauer): Da ist doch noch was! Ich will die ganze Geschichte hörn Basti!

Basti (weinerlich): Naja, ich hab meinen Ex mit seinem neuen Stecher getroffen. Die beiden haben mich angemacht.

Georg (verständnisvoll): Ok das ist echt Scheiße. Aber darf ich ehrlich sein?

Basti: Ja

Georg (forsch): Du bist echt ein Vollhonk! Erst biste zu blöd dazu Rico anzusprechen und dann versaust du auch noch euer erstes Date. Und davon, dass du dann auch noch besoffen Auto gefahren bist, will ich gar nicht erst anfangen.

Basti (wütend) Hey, ich muss mir von DIR ganz bestimmt nicht sagen lassen, was ich bin oder wie ich was zu machen habe!

Pissig legte ich auf und pfefferte das Drecksding zunächst in die Ecke. Als ich das Telefon gerade wieder holen wollte, da klingelte es schon wieder. GEORG! Gibt dieser Kerl denn nie auf? Viermal durfte ich ihn wegdrücken, bis er es endlich schnallte. Doch dafür vibriert kurz darauf mein Handy und ich bekam eine SMS.

Georg: Du hast recht. Ich kann Dir nicht sagen, wie Du was zu machen hast. Aber ich sorge mich um Dich Mann. Das ist wieder so wie mit Deinem Ex, Du frisst alles still in Dich rein. Und wir wissen ja beide, wo das letzte Mal geendet hat! Ich weiß das klingt jetzt doof, aber ich will nur das Beste für Dich. Bitte ruf noch mal an! Wir können doch über alles reden.

Ich versuchte ruhig zu bleiben, aber innerlich kochte ich. Wieso bildete sich dieses Arschloch eigentlich ein, mich als dumm darstellen zu dürfen? Ich versuchte, eine Antwort zu tippen.

Basti: Ich brauch einfach ein bisschen Ruhe. Du nervst mich mit Deinem Psychogelaber.
Ich melde mich, wenn ich den Kopf wieder freihabe. Und BITTE hör auf, mich ständig anzurufen. Kann Dein Klugscheißgehabe im Moment nicht haben.

Ich drückte auf Senden und wartete. Doch es kam keine Antwort mehr. Sollte ich ihn doch noch mal anrufen? Nein! Diesmal war er eindeutig zu weit gegangen.

Kurz darauf lag ich mit meinem Laptop auf den Schenken auf dem Sofa und fuhr die Kiste hoch. Danach angelte ich mir die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein, zappte mich etwas durch die Kanäle und fand aber nichts Gutes. Also schaltete ich die Glotze wieder aus und hörte statt dessen Musik.

Während meine Anlage einen Song nach dem anderen runterspielte, surfte ich etwas im Netz und spielte schließlich etwas Counter Strike. Nachdem ich aber heute zu nichts richtig Lust hatte, schaltete ich meinen PC wieder aus und widmete mich endlich meiner zweiten belegten Semmel.

Nachdem ich gegessen und etwas der Musik gelauscht hatte, schweiften meine Gedanken wieder zu Rico. Das mir dabei wieder die Tränen in die Augen schossen war mir egal. Ich hatte wirklich alles falsch gemacht, was ihn betraf. Wahrscheinlich hatte Georg recht und ich war wirklich ein Vollidiot. Wieso hatte mich die Tatsache das er ein Streetkid war nur so dermaßen Bahn geworfen. Ich hatte mich doch früher auch mit ärmeren Kindern gut verstanden und hatte wenig Freunde mit reichen Eltern. Vielleicht hatte Rico ja recht und mir passte es wirklich nicht, das mein Freund ärmer war als ich selbst. Schließlich wollte ich ihn ja nicht durchfüttern müssen.

An diesem Abend entschloss ich mich, nicht weiter darüber nachzudenken, sondern mein Leben weiter zu leben. Das ging auch zwei Monate gut, weil Rico nicht mehr sah. Ok, hin und wieder ertappte mich zwar dabei nach ihm Ausschau zu halten aber sonst vergaß ich ihn immer mehr. Es lief auch sonst besser für mich in dieser Zeit. Ich hatte sogar eine kurze Beziehung (vier Wochen) und meine Leistungen in der Ausbildung wurden nach dem Unfall auch wieder besser. Ich würde die Abschlussprüfung zwar trotzdem erst im Winter 2012 statt, wie die anderen im Frühjahr machen können, aber das war nicht weiter tragisch. So hatte ich wenigstens mehr Zeit zu lernen. Auch mit Georg versöhnte ich mich nach einer Aussprache wieder. Wir sahen beide ein, dass wir Fehler gemacht hatten. Als ich ihm dann zusicherte, dass ich das mit Rico überwunden hatte und er sich für seine Äußerungen entschuldigte, war alles wieder gut zwischen uns. Nach meinem Unfall durfte ich dann doch noch irgendwann zur Polizei und wegen des Unfalls unter Alkoholeinfluss, meine Fahrerlaubnis abgeben und eine größere ‚Spende‘ an eine, wie es hieß, gemeinnützige Einrichtung, zur ärztlichen Versorgung Obdachloser zu entrichten. Da ich bereits einmal wegen einer Geschwindigkeitsübertretung auffällig gewesen war, blieb es nicht bei einem befristeten Entzug mit Nachschulung, sondern ich wurde, zur Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU) beordert; bevor ich, nach für mich positivem Verlauf, den Führerschein neu machen durfte.

Wie schon gesagt, dauerte diese für mich „gute Zeit“ zwei Monate. Doch das sollte sich durch eine Begegnung schlagartig ändern. Ich wollte zum Grünwalder Marktplatz und musste dafür an der Trambahn vorbei. Ich hätte besser nicht nach Links geschaut … Denn genau dort sah ich Rico auf einer Parkbank sitzen, und musste mit ansehen, wie er mit einem anderen Jungen rumknutschte. Dieser hatte etwa sein Alter, war kleiner als Rico, schlank und hatte blonde Haare. Ich stellte mich etwas abseits der Bänke und beobachtete die beiden. Ich konnte nicht genau definieren, was ich zu diesem Zeitpunkt für Gefühle hatte. Es war eine Mischung aus Trauer, Wut, Enttäuschung, Abscheu und Eifersucht. Am liebsten wäre ich aus dem Auto gestiegen, und zu Rico gegangen, um ihm eine zu schmieren. Was dachte er sich dabei, hier so öffentlich rumzumachen?

Doch irgendwas hielt mich zurück. Während ich das Ganze beobachtete, stiegen langsam wieder die Tränen in mir hoch. Alles, was ich bis zu diesem Zeitpunkt in mir vergraben hatte, die ganzen Gefühle für Rico, kamen wieder hoch. Es schnürte mir die Kehle zu und ich bekam kaum noch Luft, während mir der Blick durch immer dickere Tränen verschleiert wurde. Ich konnte nicht anders und stieg aus, ich brauchte Frischeluft sonst wäre ich noch ohnmächtig geworden. Als ich mich gefangen hatte, beschloss ich zu ihnen zu gehen.

An der Bank angekommen, räusperte ich mich hörbar und Rico fuhr erschrocken herum.
Als er mich erkannte, verfinsterte sich sein Blick. „Was willst Du denn hier?“, zischte er mir entgegen. Ich wischte mir die Tränen weg. „Ich wollte nur Hallo sagen“, versuchte ich mit fester Stimme zu sagen, was sich aber eher wie ein Schulmädchen anhörte. „Spionierst Du mir etwa nach?“, fuhr er mich an. Es erschreckte mich, wie wütend er immer noch auf mich war. „Nein“, antwortete ich mit weinerlicher Stimme. „Schaut aber so aus! Weißt du eigentlich, was du mir damals angetan hast? Ich war am Boden zerstört, als Du mich so angeblafft hast!“ Ich konnte nichts sagen und nickte nur betreten. „Nico hier ist nicht so oberflächlich wie du. Er gibt mir alles, was du mir niemals hättest geben können!“ Rico stand auf und sah mich an. Endlich fand ich die Sprache wieder und versuchte mich einigermaßen zu fassen „Es war blöd was ich getan habe Rico. Ich habe dich geliebt und werde dich immer lieben.“ Als ich den Satz beendet hatte, wurde ich von einem neuen Schwall Tränen überwältigt. „Du hast mich geliebt???“, fuhr er mich an. „Du hast mich nie geliebt. Das habe ich an diesem Abend erkannt“, schrie er weiter.


Dann sah ich, wie sich der andere Junge von der Bank erhob. Er griff nach Ricos Schulter und sagte: „Hey Rico, lass ihn in Ruhe. Am besten wir gehen einfach, der ist das doch alles gar nicht wert.“ Rico wurde wieder ruhiger. „Ja Schatz du hast Recht. Lass uns gehen.“ Noch bevor ich etwas erwidern konnte, drehte Rico sich um, ergriff die Hand seines Freundes und verschwand.

Ich sank in mich zusammen, setze mich auf die Bank und wimmerte leise vor mich hin. Zu allem Unglück, begann es auch noch wie auf Bestellung zu regnen. Fast so, als würden meine Gefühle das Wetter beeinflussen …

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