Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich bereits ein komisches
Gefühl in der Magengegend, konnte aber nicht zuordnen warum. Ich duschte
mich schnell, zog mich an und schlich leise die Treppe runter. Weil
mein Dad noch schlief, konnte ich direkt zu Rico.
Die Morgenluft tat mir wirklich gut und befreite meinen Geist. Ich würde
mich also bei meinen Eltern outen, soviel war klar. Nur wann wusste ich
noch nicht genau. Aber heute kam meine Mum heim, also könnte ich gleich
zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
An der Tram angekommen, blickte ich mich suchend um, als sich plötzlich
von hinten zwei Arme um mich schlangen. Sofort waren alle schlechten
Gedanken verscheucht und ich war wieder einfach nur glücklich. Ich
drehte mich um und sah in das wunderschöne Gesicht von Rico. Wir küssten
uns zärtlich. „Guten Morgen mein Süßer“, grinste ich ihn an. „Guten
Morgen Schatz“, grinste auch Rico und wieder küssten wir uns. „Können
wir wieder zu dir?“, fragte mich Rico. „Ja mein Dad schläft noch und
merkt das nicht, wenn Du da bist.“
Rico grinste mich schelmisch an, „wir dürfen nur nicht zu laut sein“.
Wir lachten beide laut und eine ältere Dame schaute uns böse an. Als wir
fertig waren, machten wir uns auf den Heimweg. Dabei hielten wir wieder
Händchen und konnten die Finger nicht voneinander lassen. Daheim
angekommen zogen wir uns schnell aus und schlichen hoch in mein Zimmer.
Dort angekommen zog mich Rico sofort aufs Bett und wir küssten uns
wieder. „Hey nicht so schnell Tiger“, lachte ich und setzte mich auf.
Rico machte ein gespielt beleidigtes Gesicht und kam ebenfalls hoch.
„Ich muss noch mit dir reden“, sagte ich ernst. Rico sah mich etwas
ängstlich an. „Ich möchte mich bei meinen Eltern outen damit Du,
vielleicht, hier wohnen kannst“, sagte ich und lächelte Rico an, der
feuchte Augen bekam. „Das würdest du für mich tun?“, fragte er und ich
merkte, dass er mit den Tränen kämpfte. Ich strich ihm zärtlich über den
Kopf, „Ja das würde ich für dich tun.“ Rico umarmte mich stürmisch und
so fielen wir beide nach hinten aufs Bett. Rico küsste mich und sagte,
„so was Süßes hat noch nie jemand für mich getan.“ Seine Augen strahlten
und in diesem Moment merkte ich richtig, wie sehr wir uns liebten.
Sofort hatte ich wieder ein wunderschönes Kribbeln im Bauch. Wir
schnäbelten noch einige Minuten miteinander bis Rico mich wieder
aufstehen ließ.
„Es kann aber sein das meine Eltern das nicht so gut annehmen“, warnte ich Rico vor.
Dieser sah mich besorgt an „Wie meinst Du das?“ „Naja ich hab dir doch
erzählt, dass mein Dad nicht gerade schwulenfreundlich ist. Unser
letzter Nachbar war schwul und den naja hat mein Dad ziemlich beleidigt
und angegangen, bis er ausgezogen ist.“ „Aber Du bist doch sein Sohn!“
Ich lächelte über Ricos Gutmütigkeit. „Naja ich hoffe dass ihn das von
einem Rausschmiss abhält. Aber ich hab schon mit meinem besten Freund
Georg was ausgemacht. Er holt uns ab, wenn es schiefgeht und ich kann
dann für ’ne Weile bei ihm wohnen“.
Dennoch hoffte ich, dass alle gut gehen würde und Georg nicht Georg
anzurufen brauchte. Doch das ungute Gefühl in mir wurde immer stärker.
Gemeinsam mit Rico packte ich für den Fall das ich schnell weg musste
meine Sachen. Danach kuschelten wir uns bis zum Nachmittag auf dem Sofa
zusammen, hörten Musik und redeten.
Um 16 Uhr gingen wir dann gemeinsam runter. Rico blieb solange im Flur
stehen und wir vereinbarten, dass ich ihn rufen würde, wenn ich ihn
brauche. Meine Eldies waren gerade vom Einkaufen zurück und standen in
der Küche. „Hallo, ich müsste mal mit Euch reden“. Mir steckte ein
dicker Kloß im Hals und glaubte ich müsste mich sofort übergeben. Sie
beachteten mich überhaupt nicht sondern packten fleißig aus. „Würdet Ihr
mir bitte mal zuhören!“ Die Worte kamen etwas lauter und schärfer aus
meinem Mund, als ich eigentlich wollte. Doch wenigstens hatte ich mein
Ziel erreicht und sie schauten mich fragend an. „Was ist den Basti?“,
fragte mich meine Mum in genervtem Ton. Ich spürte Wut ihn mir
aufsteigen, dennoch versuchte ich, meinen Ärger runterzuschlucken. „Also
… das ist mir jetzt sehr wichtig“, begann ich zögerlich und spürte, wie
mir die Kniee weich wurden. Meine Wut wich wieder dieser Unsicherheit.
War es wirklich der richtige Zeitpunkt? Aber dafür war es schon zu spät.
Jetzt führte kein Weg zurück …
Wieder schauten mich beide erwartungsvoll an. „Ich hatte ja bisher noch
nie eine Freundin, und … naja … kam euch das nie komisch vor?“ Mein
Vater kicherte kurz. „Willst du uns damit etwa sagen, dass du schwul
bist?“ „Und was, wenn es so wäre?“ „Ich denke das weißt du sehr genau!“
Ich fing leicht an, zu zittern. Obwohl es sehr warm in der Küche war,
wurde mir plötzlich unendlich kalt. „Ja Dad du hast recht. Ich … ich bin
schwul!“ Endlich hatte ich es raus, dennoch stellte sich bei mir keine
Erleichterung ein. Die Angst vor meinem Vater war einfach zu groß. Beide
schauten mich ungläubig an, von Wut war keine Spur in Ihren Augen zu
erkennen, eher Unverständnis. Meine Mutter war, die erste die Ihre
Stimme wieder fand. „Und warum sagst du uns das ausgerechnet Jetzt?“
„Weil … ich … ich habe einen Freund.“ In diesem Moment kam Rico rein und
nahm meine zitternde total verschwitzte Hand. Meine Vater starrte uns
mit großen Augen an. Dann fand auch er seine Stimme wieder. „Wie lang
geht das schon?“ fragte er mit bebender Stimme. Ich spürte die Wut, die
in seinen Worten mitschwang. Meine Knie drohten zu versagen so sehr
zitterte ich. Nur dank Rico konnte ich mich noch auf den Füßen halten.
Meine Kehle war plötzlich extrem trocken und das Antworten fiel mir
scher. „Seit ein paar Tagen.“ „Habt Ihr es etwa schon in MEINEM Haus
getrieben?“, schrie er beinahe heraus. Meine Augen fühlten sich mit
Tränen, Meine Mum saß nur da und sagte gar nichts. Ich selber war
unfähig zu antworten, weil ich spürte, dass die Situation aus den Fugen
geriet und hoffte nur noch dass ER mich nicht rauswarf. „Ihr verlasst
beide sofort mein Haus. SOFORT!!!“
Jetzt öffneten sich meine Kanäle. „Ist das Dein Ernst?“ fragte ich mit
tränenerstickter Stimme. Mein Dad sprang auf und rannte auf mich los.
Noch bevor ich oder Rico etwas machen konnten, wirbelte seine flache
Hand durch die Luft und landete mit einem lauten Klatschen mitten in
meinem Gesicht. Ich spürte nichts, keinen Schmerz, nur das meine Beine
nachgaben und ich unsanft auf dem Boden landete. Das Letzte was ich
erkannte war das wutverzerrte Gesicht meines Vaters. Dann wurde alles um
mich herum schwarz …
Das Nächste, was ich wahrnahm, waren verschiedene aufgeregte Stimmen.
Vorsichtig versuchte ich, meine Augen zu öffnen. Grelles Licht drang
durch meine halb geöffneten Lider. Die Stimmen verstummten und ich sah
ein Gesicht vor mir. Langsam erkannte ich Rico, der zärtlich mein
Gesicht streichelte, und versuchte mich anzulächeln, was ihm aber
aufgrund seiner roten Augen und dem besorgten Blick nicht recht gelang.
Langsam richtete ich mich auf und war anfangs etwas orientierungslos.
Ich war in einem kleinen Zimmer. Erst als ich Georg und seine Mutter
erblickte, wurde mir klar, wo ich war. Irgendwie hatte Rico es wohl
geschafft, mich aus dem Haus zu bekommen und Georg anzurufen. Frau
Maiser setzte sich zu mir auf das Bett und sah mich eindringlich an.
„Wie geht’s es dir jetzt?“ Die Tränen in meinen Augen waren wohl Antwort
genug. Sie nahm mich in den Arm. „Du kannst solange bei uns bleiben,
bis es Dir besser geht und auf eigenen Beinen stehen kannst“. Ich
schluchzte hemmungslos. Rico kam näher und löste Frau Maiser mit der
Umarmung ab. Er kraulte mir sanft den Nacken und streichelte über meinen
Kopf. „Wir lassen Euch besser mal alleine“. Mit diesen Worten verließen
Frau Maiser und Georg das Zimmer. Ich erwiderte Ricos Umarmung. Meine
Tränen fluteten seinen Pulli, er nahm seinen Kopf von meiner Schulter
und schaute mir tief in die Augen. „Es wird alles gut“, flüsterte er.
Was sollte wieder gut werden? Meine Familie hatte mich rausgeworfen und
mit meinem Gehalt konnte ich mir niemals eine eigene Wohnung leisten.
Nach fünf Minuten löste ich mich aus seiner Umarmung. Ich wischte mir
die letzten Tränen aus dem Gesicht. „Es ist schon spät. Du solltest
langsam los. Will nicht das Dir was passiert, wenn es später wird.“
„Hey, erstens lebe ich auf der Straße. Ich kann mich schon wehren und
zweitens darf ich heute Nacht bei Dir bleiben“, Rico strahlte mich an.
Mein Herz machte trotz allem einen kleinen Freudenhüpfer. Wenigstens
heute Nacht war ich nicht alleine. „Du, ich geh besser noch mal
duschen.“ Rico nickte kurz. Fast mechanisch schafften mich meine Beine
zum Bad zu viele Gedanken rasten durch meinen Kopf. Im Bad angekommen
zog ich mich aus und stieg in die Dusche. Ich hoffte, dass das warme
Wasser meine Gedanken reinigen würde, doch das Einzige was kam war
nackte Angst, Angst noch mehr zu verlieren, als ich eh schon verloren
hatte. Wieder wurden mir die Knie weich wie bei meinem Outing, ich fing
erneut an zu weinen und zitterte am ganzen Körper. Mit dem Rücken an der
Wand rutschte ich langsam an den Fliesen runter. Meine Tränen mischten
sich mit dem warmen Wasser, das über meine Brust lief. Immer wieder
wurde ich von Heulkrämpfen geschüttelt. Mir war alles egal. Scheinbar
schien mein Schluchzen das Rauschen zu übertönen. Denn plötzlich hörte
ich ein Klopfen und Ricos besorgte Stimme. „Basti? Ist alles ok.“ Ich
konnte nicht antworten, meine Tränen erstickten alles. Dann hörte ich,
wie Rico sich vom Bad entfernte und mit Georg zurückkam. Sie
entriegelten die Tür mit einer 50 Cent Münze und öffneten sie.
Rico rannte als Erster hinein, zog den Duschvorhang beiseite und kam
sofort mit unter die Dusche. Er setzte sich still neben mich und ich
lehnte mich an ihn. Rico schloss mich fest in seine Arme und drückte
mich an sich. Georg erkannte, dass er hier fehl am Platze war, verließ
das Badezimmer wieder und fing seine Mum ab. Zwar verstand ich kein Wort
von dem, was sie redeten, aber sie entfernten sich wieder. Rico war
mittlerweile total durchnässt, dennoch blieb er neben mir sitzen und
hielt mich einfach nur fest. Langsam ließen meine Tränen nach. Rico
stand nach zehn Minuten auf und zog mich vorsichtig mit hoch. Es fiel
mir schwer und ich konnte mich nur mühsam auf den Beinen halten. Rico
nahm sich ein Handtuch und trocknete mich damit ab. Danach hob er mich
hoch und trug mich ins Gästezimmer zurück. Als ich nackt im Bett lag,
zog er sich schnell aus und legte sich zu mir. Ich kuschelte mich eng an
ihn und schloss meine Augen, doch Einschlafen konnte ich nicht. Nach
einer halben Stunde spürte ich wie Rico versuchte, sich bequemer
hinzulegen, ich öffnete meine Augen etwas und stütze mich auf. „Kannst
Du auch nicht schlafen?“ „Nein, das alles geht mir noch so im Kopf rum.
Hab Angst, dass ich Schuld daran bin.“ „Hey Rico, du bist daran nicht
schuld ich musste mich ja mal outen. Und ohne dich wäre ich vielleicht
nicht hier“. Wir küssten uns zärtlich. Wieder kuschelten wir uns
zusammen. „Wenn wir sowieso nicht schlafen können. Würdest Du mir was
über Deine Vergangenheit erzählen?“ Ich merkte, wie Rico nachdachte. Er
sah mich an. „Du wärst der Erste, mit dem ich überhaupt darüber rede.
Aber ich vertraue Dir“.
Und dann er begann zu erzählen …
Baustellenreport II
vor 6 Jahren
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